Die einzig logische Schlussfolgerung aus unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem ist die Wiedereinführung der Sklaverei. Zumindest ist das die Idee, auf der Thor Kunkel´s Roman „Subs“ baut. Ich habe mir die Taschenbuchausgabe vom Heyne Hardcore Verlag angesehen und unser gesellschaftliches System hinterfragen lassen.

subs cover

Buch- Rezension von Mario Zollitsch

 

 

Gefeiert und diskutiert

Schon in der kurzen Einleitung wird vermutlich deutlich, dass Thor Kunkel in seinem Buch „Subs“ ein Thema anspricht, das auf derartige Weise sehr provokativ ist.

Der Autor wurde 1963 geboren und studierte Kunst. Viele Jahre seines Lebens hat er in London und Amsterdam verbracht. 1999 gewann er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb den Ernst Willner- Preis.

Sein zweiter Roman „Endstufe“ löste große Debatten in der Literaturszene aus. Hierbei ging es um die Pornoindustrie während des Dritten Reiches. Den Durchbruch schaffte er mit „Das Schwarzlicht-Terrarium“ und später folgten noch die Romane „Kuhls Kosmos“, „Schaumschwester“ und einige Hörspiele.

Thematisch trifft Kunkel immer wieder ins Schwarze – provokativ überspitzt spricht er Themen an, die uns unangenehm sind. Und so auch in „Subs“.

 

Lösung all unserer Probleme: Sklaven

subs- slave wantedEvelyn und Claus Müller-Dodt, die Protagonisten in Subs, können sich eigentlich nicht beklagen. Sie sind beide an die 40, verdienen gut (sie Juristin, er Schönheitschirurg) und leben abgeschieden in Berlin Grünewald in ihrer Villa und dem zugehörigen riesigen Grundstück. Ihre einzige Sorge: Die Haushälterin hat gekündigt und vor allem Claus möchte eine neue im Haus haben. Aus diesem Grund gibt er, humorvoll gedacht, eine Anzeige in der Zeitung auf: „Sklavin gesucht“.

Überraschender Weise melden sich etliche Leute auf diese Anzeige. Großteils allerdings SM-Fanatiker, die wenig Interesse am Führen eines Haushaltes haben. Doch auch ein Bartos und eine Svetlana stellen sich vor – und bieten sich als Team an. Sie bewerben sich nicht als Haushaltshilfen – sondern als Sklaven, wie es im römischen Reich üblich war.

Die Müller-Dodts sind sehr zufrieden mit ihren „Sklaven“ – auch wenn vor allem Evelyn am Anfang große Zweifel daran hat. Bartos erklärt seine Situation wie folgt: Er als Altphilologe im hohen Alter, der alles verloren hat, hat in dieser Welt keine Chance mehr, auf die eigenen Beine zu kommen. Das Sklavendasein sieht er als völlig natürlich und als logische Schlussfolgerung aus dem Kapitalismus an. Lieber ist er Sklave und somit „familiaris“, also Teil einer Familie, als arbeitslos und ohne Aussichten. In der Sklaverei seien ihm zumindest die Verpflegung, ein Dach über dem Kopf und eine gewisse Wertschätzung sicher.

Obwohl Evelyn diese ganze Situation kritisch beäugt und sich ihr moralisches Verständnis nicht mit Sklaverei in Einklang bringen lässt, ist sie von der Arbeit, die Bartos und Svetlana leisten, sehr beeindruckt und zufrieden.

Doch nach und nach schein die Situation zu entgleiten: Immer mehr Sklaven ziehen auf das Gelände des reichen Paares. Zuerst für den Bau eines Pooles, später für noch etliche andere Dinge. Die Beziehung von Evelyn und Claus wird dabei auf eine harte Probe gestellt, ebenso zeigen sich tiefe Abgründe bei ihren Bekannten und der gesamten Gesellschaft auf.

 

Distopie oder Realität?

Sklaverei in Deutschland scheint absurd. Selbstverständlich haben wir es bei Subs mit einer fiktiven Geschichte zu tun. Doch wie abwegig sind die Überlegungen wirklich? Wie viel wissen wir – oder wissen wir nicht?

Das schockierende an Subs sind nicht die überspitzt dargestellten „Reichen“, die sich aller herausnehmen und keinerlei Rücksicht auf Mitmenschen oder gar Moral nehmen. Zugekokste Chirurgen, Richter die sich ihre Frauen aus Thailand kaufen oder menschenverachtende Sklavenhalter – das klingt zwar schrecklich, doch wir beruhigen uns damit, dass es sich um Fiktion handelt und die „oberen“ 10 % der Gesellschaft gerne in einem übertrieben schlechten Licht dargestellt werden.

Viel beängstigender ist die Tatsache, dass wir uns nicht in einer fernen Zukunftsvision wiederfinden. Die Geschichte spielt in der heutigen Zeit – die angesprochenen Problematiken und scheinbaren Legitimationen für die Sklaverei sind uns alle bekannt: Unterbezahlte Jobs, mit denen nicht gelebt werden kann. Niedrige Sozialabsicherungen bei Arbeitslosigkeit oder auch in der Rente. Verlust von allem Eigentum durch Schulden. Wir haben diese Menschen, die alles verloren haben, mehr als genug in unserer Gesellschaft. Ebenso ist eine immer größer werdende Schere in Bezug auf den Besitz der einzelnen Bürger kein Geheimnis und knallharte Realität.

Auch wird beispielsweise die Prostitution oder die „Thaifrau“ als Sklaverei – oder zumindest eine Form dieser – angesprochen. Und dass wir hier knallharte Realität vor uns haben, wissen wir alle. Die Frau aus dem Katalog und der Bumsurlaub in Thailand und Ägypten sind bei vielen sogar als „normal“ angesehen.

Genau diese Punkte nimmt Bartos, der erste Sklave im Buch und der große Verfechter der Sklaverei, auf, um das Ehepaar zu überzeugen. Und an manchen Stellen ist man nahezu dazu geneigt, ihm zuzustimmen. Das römische Staatsrecht als großes Vorbild – ebenso die Behandlung von Sklaven in dieser Zeit. Laut Bartos sei diese gerecht und natürlich.

Diese Momente, in denen wir unsere Gesellschaft, ja vielleicht sogar unseren Bekanntenkreis und unser Hier und Jetzt, im Buch wiederfinden, erschrecken zutiefst. Hier tritt der Schockeffekt auf.

 

Plumpe Kapitalismuskritik?

Weniger der Kapitalismus, viel mehr unser Menschenbild und unsere Gesellschaft stehen im Schussfeld von Thor Kunkel. Wie weit würden wir gehen, um uns unser Leben möglichst angenehm zu gestalten – falls wir es uns leisten können. Und wie weit würden wir gehen, wenn wir keinerlei Perspektiven mehr haben? Der kritische Ton ist unübersehbar.

Doch was findet sich noch? Die Story hangelt sich langsam voran, bleibt aber fast durchwegs spannend. Die Veränderung der beiden Protagonisten, die Motive von Bartos und Svetlana, und die Reaktion anderer Charaktere sind äußerst interessant zu verfolgen. Vor allem ihre Beweggründe werden uns von Kapitel zu Kapitel immer weiter offen gelegt.

Ich persönlich hatte nur in etwa der Mitte des Buches einen kleinen Tiefpunkt: Das räumlich getrennte Ehepaar – Claus in Frankreich, Evelyn in New York – treibt die Geschichte in eine dramatische Liebesstory. Er ist verliebt, doch er liebt sie, doch sie geht, und sie liebt ihn und er ruft nicht an und hebt nicht ab und sie möchte weg…. Dieser etwas längere Part hat mich einige Kraft gekostet, da keine offene Handlung erkennbar ist, die die Gesamtstory vorantreiben würde. Allerdings sind die inneren Veränderungen und die Erlebnisse der Protagonisten von enormer Bedeutung, um das nicht ganz zufrieden stellende Ende einzuleiten.

Innerhalb der Story geschehen regelmäßig Zeitsprünge. Das Geschriebene klärt uns an diesen Stellen immer wieder auf, welche Veränderungen in der Zwischenzeit stattgefunden haben. Innere Monologe lassen uns außerdem tief in die Motive der Protagonisten einblicken – oder bringen uns auf eine falsche Fährte, was wiederum zu Überraschungen führt.

 

Fazit:              sehr gut

Die Story über Sklaven in unserer heutigen Gesellschaft ist schockierend – vor allem weil die dargestellte Fiktion an viel zu vielen Punkten bereits vorhanden ist. Dass ein reiches Ehepaar sich ein Sklavenheer nach römischem Vorbild erbaut, halte ich natürlich für äußerst unwahrscheinlich. Doch allzu abwegig ist der Gedanke leider nicht. Das Buch schockiert mit seiner allzu großen Nähe zu unserer Realität. Ein interessanter und spannender Zugang zu einem hochpräsenten Thema: Wo hat der Mensch seine Grenzen und welche Tabus gibt es in unserer Gesellschaft überhaupt noch? Auf alle Fälle lesenwert!

 

Info
Titel: SUBS
Autor: Thor Kunkel
Verlag: Heyne (Hardcore)
Seiten: 464
ISBN: 978-3-453-67634-3
Preis: 10,99€ (Taschenbuch)
Website: @randomhouse