Samstag dreiviertel fünf im Kinopolis Landshut: Das Kino selbst ist relativ leer, viel mehr stürmen Menschenmassen durch das CityCenter. Zugegeben: Keine Kinozeit, wie man sie normal gerne nutzt. Doch leider läuft der Film nur zu dieser außerordentlich unpraktischen Zeit: 16.45 Uhr. Entsprechend gering war der Besuch des Films – was sehr schade ist. Wir haben hier einen der besten deutschen Filme seit langer, langer Zeit. Quellen des Lebens beweisen, dass auch fernab von Hollywood grandiose Filme gemacht werden.
Film Rezension von Mario Zollitsch
Umstrittener Geist
Oskar Roehler zählt zu den umstrittensten Filmkünstlern bei uns. Seine Nazi-Satire „Jud Süss- Film ohne Gewissen“ wurde bei der Berlinale 2010 stark diskutiert. Am häufigsten wird kritisiert, dass Roehler sich nicht an historische Fakten hält, überspitzt und übertreibt. Doch genau darin liegt auch seine Stärke, so seine Verteidiger. Doch in „Quellen des Lebens“ knüpft er viel mehr an sein eher nüchternes Werk „Die Unberührbaren“ an. Hierin erzählt er die Geschichte von den letzten Monaten aus dem Leben seiner eigenen Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner.
Auch in „Quellen des Lebens“ spielt Gisela Elsner als Figur eine wichtige Rolle. Inwiefern auch die anderen familiären Beziehungen und Verläufe aus seiner eigenen Biographie stammen, lässt sich nur vermuten. Und vor allem, wie viel wahrer Kern darin wirklich steckt.
Eine Familie – ein Land
„Quellen des Lebens“ erzählt die Geschichte der Familie Freytag über drei Generationen hinweg. Und dabei erlebt diese Familie die deutsche Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg.
Den Anfang macht Roehler 1949. Erich Freytag, gespielt von Jürgen Vogel, kehrt aus der russischen Gefangenschaft in seine ihm fremd gewordene Heimat zurück. Niemand hat mit ihm gerechnet. Seine Frau (Elisabeth Freytag) führt eine Beziehung mit seiner eigenen verhassten Schwester (Sonja Kirchberger). Von den drei Kindern können nur zwei von ihm sein. Die Freude über die Rückkehr ist bei allen Beteiligten eher zurückhaltend. Dennoch zieht Erich Freytag wieder zu Hause ein und gründet eine eigene Gartenzwerg-Fabrik – und wird damit Teil des Wirtschaftswunders.
Sein Sohn Robert Freytag unterscheidet sich stark von seinem Vater. Er träumt davon, Schriftsteller zu werden, und beginnt auch ein Studium. Dort lernt er Gisela Ellers (Lavinia Wilson) kennen und die beiden beginnen eine wilde Liebesbeziehung. Giselas Talent übersteigt allerdings die Schreibversuche von Robert, und im Gegensatz zu ihm wird sie eine berühmte Autorin, die sich dem Kommunismus verschreibt. Vor allem ihr gemeinsamer Sohn, Robert Freytag (Leonard Scheicher) leidet darunter.
Robert´s Kindheit ist ein Drama: Streit der Eltern, ein deprimierter Vater, eine abgedrehte Mutter, keinerlei Zuneigung zu dem Kind. Im Laufe seiner Kindheit wird er von einem Verwandten zum nächsten geschoben. Die glücklichste Zeit erlebt er dabei auf dem Land bei Erich und Elisabeth, seinen Großeltern. Dort lernt er auch die Werners kennen. Die Tochter Laura (Lisa Smit) wird seine beste Freundin und später auch seine große Liebe. Doch bis dahin muss er noch einige Stationen erleben – unter anderem bei seiner manisch-depressiven Großmutter und dem kapitalistischen Großvater mütterlicher Seite. Dass Robert Teil der Hippie- Bewegung wird und der freien Liebe macht auch dieses Zusammenleben nicht leichter.
Rundumschlag
In 176 Minuten lässt sich viel erzählen. Die Charaktere treten immer wieder auf. Es werden also nicht Generationen der Reihe nach abgearbeitet – viel mehr sehen wir einige Zeit später, was in all den Jahren beispielsweise aus Erich und Elisabeth geworden ist. Veränderung findet sich überall, doch es gibt auch viele Konstanten. Manche positiv, wie beispielsweise das Wiedersehen von Robert mit Laura, aber auch viele negative, wie zum Beispiel das Leben von Robert Freytag.
Diese eine Familie erlebt, wie viele andere Familien in Deutschland auch, die komplette Nachkriegsgeschichte in drei Generationen. Von den Trümmerfrauen über Wirtschaftswunder, Studentenbewegung und Hippie-Bewegung. Jede Generation kämpft mit ihren eigenen Konflikten und Probleme, die sie bewältigen muss. Einfach ist es niemals. Doch manche gewinnen diesen Kampf und bringen ihr Leben in Einklang, andere dagegen scheitern an ihrer Zeit. Robert ist bis zum Ende hin auf der Suche nach seinem „Quell des Lebens“, welchen sein Großvater Erich schon längst gefunden hat und ihm das Überleben ermöglichte.
Die Familiengeschichte ist schlicht und realistisch. Sicherlich sind einige Passagen überspitzt und die Konstellation innerhalb der Familie ist möglichst ungünstig für eine gesunde Entwicklung der Kinder. Doch es ist eine deutsche Familie in der jeweiligen deutschen Zeit. Wir haben keine „Eigenbrödler“ oder Außenseiter, sondern die Charaktere bewegen sich voll im Geist der Zeit. Daher erzählt „Quellen des Lebens“ nicht die Familiengeschichte der Freytags, sondern die Geschichte eines ganzen Landes – mit seinen Problemen und seinen Wundern. Und vor allem mit seinen Wunden aus vergangener Zeit.
Starbesetzung
Wir finden in „Quellen des Lebens“ alle wichtigen deutschen Schauspieler. Anfangs hätte ich Jürgen Vogel kaum erkannt, da er als vom Krieg zerstörter Mann fast unerkennbar ist. Doch mit kurzen Haaren wird das markante Gesicht wieder deutlich und man freut sich über seinen starken Ausdruck und sein Charisma. Er spielt seine Rolle famos.
Doch auch ein Moritz Bleibtreu überzeugt in der Rolle als erfolgsloser Schriftsteller und Rabenvater. Hierzu mag man eigentlich auch kaum mehr sagen, denn es gibt keine mir bekannte Rolle, die Moritz Bleibtreu nicht perfekt umgesetzt hätte.
Auch ein Wilson Gonzalez Ochsenknecht ist ein Gesicht, das man sofort erkennt. Auch wenn ich ihn persönlich nicht mag und mir es im Film vorkam, als würde er lediglich sein eigenes Ego spielen wollen, trifft er perfekt ins Schwarze und wirkt mehr als authentisch. Eine Lisa Smit in der Rolle als Laura überzeugt von der Verwandlung des Mauerblümchens in eine liebende, junge Frau, Margarita Broich zieht den Hass für ihre Stimmungsschwankungen als manisch-depressive Hildegard Ellers auf sich, Lavinia Wilson lieben wir führ ihre Spontanität und ihre lebensfrohe Art in der Rolle als junge Gisela Ellers – und verabscheuen sie später ebenso für das, was aus ihr geworden ist.
Mir fallen spontan nur noch zwei Namen ein, die vielleicht der ein oder andere Leser noch als „wichtigen deutschen Schauspieler“ einwerfen könnte. Doch ganz ehrlich: Die beiden Milchbubis Till Schweiger und Matthias Schweighöfer haben in diesem Drama nichts verloren. Sie sollen ihre Liebeskomödien spielen, in denen sie sich selbst in Szene setzen können. „Quellen des Lebens“ bringt charismatische Charaktere auf die Leinwand und erzählt eine bewegende Geschichte mit Tiefgang und historischem Hintergrund. Kein Kaka-Weh und Schlussmachen. Auch wenn „Kokowäh“ im Restaurant angeboten wird und Schlussmachen immer eine Option im Film ist.
Fazit: ausgezeichnet
Schon lange keinen so guten Film mehr gesehen. Vor allem keinen deutschen. Vielleicht sind wir doch noch immer das Land der Kunst – Dramen waren schon immer die Stärke der deutschen Autoren. „Quellen des Lebens“ bleibt über die gesamten drei Stunden interessant. Wir kämpfen mit den Tränen, wir lachen, wir hassen und lieben die Charaktere. Und sind überrascht von ihren Verwandlungen. Schade, dass dieser Film so untergeht. Keine Werbung, bescheidene Kinozeiten und keinerlei Beachtung der großen Medien. Dabei würden fast alle diese Film lieben – altersunabhängig. Für mich eine neue Perle des deutschen Kinos, der etliche Hollywood-Produktionen locker in den Schatten stellt.
Genre | Drama, Historie |
Kinostart | 14.02.2013 |
FSK | ab 12 |
Verleih | X-Verleih |
Dauer: | 174 Minuten |
Regie/Drehbuch | Oskar Roehler |
Schauspieler |
Jürgen Vogel Moritz Bleibtreu Lavinia Wilson Maret Becker Kostja Ullman Sonja Kirchberger Lisa Smit Margarita Broich Thomas Heinze Leonard Scheicher |
Produktion | 2013 |
Komponist | Martin Todsharow |
Website | @Quellen des Lebens |
Dank gilt auch in diesem Fall wieder dem Kinopolis Landshut, das uns den Besuch des Filmes ermöglicht hat.