Band- Biographien haben bei mir fast immer den gleichen Effekt: Rückkehrende Begeisterung für diese Band, diese Musikrichtung – und das Herauskramen der alten Platten. So läuft bei mir derzeit extrem linker Hardcore- Punk rauf und runter. Bekannte Titel wie „Deutschland muss sterben“, „Alle für alle“ und „Hey Punk“ bringen einen Touch von Radikal in mein geleastes Auto und die mit Wohlstandsmüll eingerichtete Wohnung, während ich fleißig meine Einzahlungen auf dem Bausparer überfliege. Und schuld an diesem lächerlichen Bild ist Daniel Ryser mit seiner Biographie „Slime: Deutschland muss sterben“.

slime cover

Buch-Rezension von Mario

 

30 Jahre mit Slime

Der Autor Daniel Ryser hat sich die Mühe gemacht, Bandmitglieder der letzten 30 Jahre der Punkband Slime zu besuchen und über die Bandgeschichte auszuquetschen. Interviews mit Freunden der Band und ehemalige Produzenten, aber auch heute bekannte Musiker, welche die Band einige Zeit begleitet haben, wurden mit ins Boot geholt, um eine ausführliche Bandbiographie zu erstellen. Das Ergebnis dieser mühseligen Arbeit sind 265 Seiten Einblicke in die Anfänge des deutschen Punkrock und dessen Entwicklung.

Dabei reiht Ryser nicht einfach nur Faktenwissen aneinander. Einen Großteil der Informationen erhalten wir über Erzählungen von den Bandmitgliedern selbst oder Personen aus deren engsten Kreisen. Dadurch erhalten die Berichte einen persönlichen und greifbaren Touch. Eingebettet sind diese kurzen und längeren Statements in die jeweiligen Zeitgeschehnisse. Ob nun RAF, Mauerfall oder Anti- AKW-Demonstrationen: Ein wenig geschichtliches Hintergrundwissen der Neueren Deutschen Geschichte lässt den Kontext erkennen und Problematiken und Kontroversen der erzählten Zeit werden klar. Und auch die Positionierung der Band und deren Mitglieder.

Doch auch ohne fundiertem Wissen macht Ryser auf die grundlegenden Situationen und Problematiken aufmerksam: Ob politisch, gesellschaftlich oder nur die „Szene“ betreffend.

 

Vom Punk zum Geschäftsmann

slime_logoDie Band Slime sorgt noch heute für Kontroversen. Bei der Gründung der Band 1979 war deutscher Punkrock noch nicht existent. Vorbilder waren in erster Linie englische Bands, wie die Ramones. Slime schaffte es mit ihren provokativen und aggressiven Texten, die mit harter Stimme vorgetragen wurden und sehr parolenhaft waren, eine Szene zu begeistern. Anfangs erfreute sich der harte Sound vor allem in Hamburg, der Heimatstadt der Band, großer Beliebtheit. Später gehörte vor allem die deutsche Punk-Szene zu ihren Fans, allerdings selbst innerhalb dieses radikalen Lagers waren die Meinungen kontrovers. Selbst heute, nachdem sich die Band 1994 aufgelöst und 2009 neu gegründet hat, zählt Slime einerseits zu den großen Vorbildern einer ganzen Bewegung, andrerseits aber auch zu den am meisten kritisierten Bands.

Immer wieder nimmt Ryser Bezug auf die Texte von Slime und zitiert diese – meist komplett. Wir erhalten Einblicke, wie diese Texte entstanden sind, und wie sie gewirkt haben. Dass „Wir wollen keine Bullenschweine“ und „Polizei SA/SS“ auf starken politischen und gesellschaftlichen Widerstand trafen, muss wohl nicht erläutert werden. Aber auch die lyrische Raffinesse eines Titels wie „Deutschland muss sterben (damit wir leben können)“ wird gekonnt erklärt und durchleuchtet.

Am interessantesten sind allerdings die Entwicklungen, die sich bei den Mitgliedern von Slime ergeben. Schon alleine die Wechsel in der Besetzung der Band zeigen, dass auch intern immer wieder Meinungsverschiedenheiten aufgetreten sind und sich die Mitglieder auseinandergelebt haben. Rückblickend erzählen die Mitglieder, was damals Gründe für ihr Handeln gewesen sind und wie sie heute dazu stehen.

Ähnlich gegensätzlich wie die Entwicklung der Mitglieder – von Stoffhändler zu arbeitsloser Fußballfan ohne Rücklagen – ist die Haltung des Autors. Eine große Bewunderung und vermutlich auch Sympathie lässt sich deutlich erkennen. Dennoch wird die Band nicht ins Unermessliche angepriesen. Auch negative Erlebnisse und Aktionen werden als solche dargestellt. Ryser lässt eine eigene Meinungsbildung zu, kommentiert aber dargelegte Fakten bei Bedarf ausführlich.

 

Starallüren ?

Biographien können oft sehr trocken und langwierig sein. „Slime: Deutschland muss sterben“ verzichtet allerdings auf diesen faden Beigeschmack. Persönliche Geschichten, Erinnerungen, Statements, eingebettet in historischen Kontext und gespickt mit den wichtigsten Fakten geben einen ausführlichen Einblick in die Geschichte der Band, ohne langweilig zu werden.

Unter anderem sorgen Mitglieder anderer berühmter Bands für interessante Infos zur Band: Rodrigo Gonales von den Ärzten und Campino von den Toten Hosen, die beide mit ihrem „Punkrock“ enorm erfolgreich wurden, erzählen über ihre Erfahrungen mit Slime – persönlicher Kontakt und musikalischer Bezug. Beispielsweise die Hommage der Ärzte an Slime mit ihrem Song „BGS/GSG“.

Ein großer Kritikpunkt an Slime ist – natürlich vor allem durch die linke und autonome Szene – der kommerzielle Erfolg der Band. Dieses Problem findet sich ganz besonders in der linken Musikszene immer wieder: Sobald eine Band gute Musik macht und damit erfolgreich wird, sind sie Teil des bekämpften Systems. Der Vorwurf, man würde sich verkaufen und die Szene verraten, sind dabei selbstverständlich. Zunder gibt es für diese Vorwürfe natürlich zur Genüge: Eine Wiedervereinigung einer Band nach 15 Jahren Pause lässt natürlich die Vermutung zu, dass das Geld knapp wird. Wie „Punk“ Slime heute noch sind, können wir uns selbst überlegen – mit Denkhilfen von der Biographie.

 

Fazit                      gut

Slime ist Punk pur. Oder war es zumindest. Ich habe viel interessantes über diese einschneidende und kontrovers diskutierte Band erfahren. Und mich zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Leider brach auch beim Lesen immer wieder der reaktionäre, kleinbürgerliche Spießer aus mir hervor und ich musste manche Aussagen der Band leicht belächeln – vor allem wenn es um „damals“ geht. Und das Buch ist irgendwie doch auch selbst ein klein wenig Punkrock. Etwas nehme ich auf alle Fälle aus dem Leseerlebnis mit: Es wird wieder häufiger Punkrock aus meiner überteuerten Anlage tönen – nur wegen des Gefühls der Rebellenhaftigkeit wegen. Zu alt für Punk kann man scheinbar ja nicht werden, wenn man sich Dirk von Slime ansieht.

 

Info
Erscheinungstermin 4.März 2013
Autor Daniel Ryser
Genre Biographie, Musik
Preis 19,99€ (Hardcover)
Verlag Heyne
ISBN 978-3-453-67653-4
Seiten 288