Als Gamer verbrachte Jann tausende Spielstunden in der Videospiel-Rennsimulation „Gran Turismo“. Weniger um Zeit totzuschlagen, sondern weil er sich dadurch seinem großen Traum Rennfahrer am nächsten fühlt. Eben dieses Game ruft aber plötzlich tatsächlich dazu auf „vom Gamer zum Rennfahrer“ zu werden. Für Jann gibt es nicht viel zu überlegen: er will sich seinem Traum stellen! Egal was andere sagen!
Autor: Alex
Handlung: Vom Gamer zum Rennfahrer – Schnappsidee oder Geniestreich?
Bereits seit seinen frühen Kindheitsjahren hat Jann diesen einen sehr verrückten Traum: Er will Rennfahrer werden. Eine Profession, die nur einem Bruchteil der Menschheit zugedacht ist. Und er will einen Platz in einem dieser Cockpits. Zu dieser Liebe hat nicht nur der Besuch einer Autoshow in seiner Kindheit beigetragen, sondern auch das Videogame „Gran Turismo“, das Spieler der Playstation-Konsolen seit mehr als 25 Jahren unterhält und fasziniert. Mehr als 80 Millionen Spieler zählt die Reihe in seiner Historie und alle haben dadurch mal mehr und mal weniger die Liebe zum Autofahren oder zum Rennsport entdeckt.
Ein neueingestellter PR-Manager von Nissan (und selbst „Gran Turismo“-Fan) hat deswegen eine so verrückte wie interessante Idee: Er will eben diese „Racing-Simmer“ (oder Racing-Sim-Fahrer, oder Racing-Gamer oder einfach nur Gamer) auf die Rennstrecke bringen. Der beste Racer einer Region soll online ermittelt werden und diese treten dann in echten Rennwagen und in echten Rennen gegeneinander an. Sein Plan findet Anerkennung in Japan und das Projekt „GT Academy“ (GT ist kurz für „Gran Turismo“) startet. Der Sieger der Academy soll in echten Rennen mitfahren und die Chance haben die höchste Rennlizenz der FIA zu erhalten.
Jann der von diesen Planungen wie alle anderen Videospielenden natürlich erst mal noch nichts mitbekommt, plagt sich derweil mit seinem eigenen Leben. Seine Eltern – besonders sein sportlicher und aktiver Vater – liegen ihm im Nacken endlich aus seiner Gamer-Höhle zu kriechen und etwas mit seinem Leben anzufangen. Studium, Arbeit, oder einfach nur eine Runde Kicken im Park – alles ist aus seiner Sicht besser als ständig vor der Glotze zu hängen.
Doch als Jann dann eines Nachmittags zufällig die Chance seines Lebens bekommt, will er sich diese nicht nehmen lassen. In seinem Lieblings-Gaming-Café war er noch mit seinem Account eingeloggt und ein anderer Gamer hat diesen unfreiwillig für das Qualifikationsrennen zur Teilnahme an der GT-Academy angemeldet. Das Entscheidungsrennen kann Jann für sich entscheiden und ist somit Teil der GT-Academy.
Ab hier jedoch beginnt ein unerwarteter Ernst des Lebens: Denn das Leben als Rennfahrer hat seine Tücken: sportlicher Natur, menschlicher und vor allem psychischer Natur. Als Rennfahrer muss man sich genauso „committen“ wie für das Rennen und jede einzelne Sekunde in ihm – das sind die Worte des Chef-Ingenieurs Jack, der die Game-Racer auf das entscheidende Rennen in der Academy vorbereitet und eine Art „Anti-Mentor“ wird. Wer wird sich durchsetzen in der Academy und vor allem was für eine Zukunft erwartet einen da draußen außerhalb der „Academy-Blase“? Wie wird ein eRacer von den traditionellen Rennfahrern aufgenommen? Kann dieses Experiment von Nissan überhaupt zum Erfolg führen? Oder steuert die Renngemeinde auf eine große Katastrophe zu?
Einschätzung: Wenn Gaming zur Realität wird und andersherum
Wenn man sich den Film anschaut, dann muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen: Das ist alles so oder so ähnlich wirklich passiert. Der Rennfahrer Jann Mardenborough ist nicht nur eine fiktionale Figur, sondern ein echter Mensch. Nissan hatte diese vermeintliche Schnappsidee nicht nur im Film, sondern vor vielen Jahren in der Realität. Es ist eine Wahnsinns-Geschichte und die Grenzen zur Fiktion werden hier selbst in der Realität auf die Probe gestellt.
Die Handlung, die uns „Gran Turismo“ hier liefert ist an sich eine klassische „From Zero to Hero“-Geschichte. Die Entwicklung von Jann als Charakter ist dabei aufgrund seiner Persönlichkeit bzw. Darstellung gar nicht so einfach und das führt den Film auch ganz nah ran an ein riesiges Problem – doch dazu später mehr. Ich möchte noch bei der Handlung bleiben, die selbst nämlich durch ihre so klassische Inszenierung natürlich vorhersehbar erscheint – und das ist sie auch für lange Zeit. Doch dann gelingt den Verantwortlichen des Films etwas, das phänomenal gut funktioniert: Eine so abrupte und unerwartete Wendung, wie ich sie in einem Film schon sehr sehr lange nicht mehr gesehen habe. Nicht dass es in dieser Art der Erzählung sowas nicht gibt, aber diese Konsequenz, Ernsthaftigkeit und vor allem das Momentum so zu zerdrücken ist herausragend! Ab diesem Zeitpunkt werden wir genauso aus der Bahn geworfen wie ein Rennauto auf regennasser Fahrbahn. Und ab diesem Zeitpunkt bleibt noch gut ein Drittel Film. Das macht diese letzte Phase des Films und seiner Handlung daher dramaturgisch ganz wertvoll. Denn wir legen nach der Wendung unser vermeintlich sicheres Wissen über den Ausgang komplett ab und fiebern mit den Charakteren und ihren Entwicklungen.
Ich habe mir während und jetzt vor allem nach dem Film oft die Frage gestellt, ob es einen Unterschied machen würde, wenn man „Gran Turismo“ als Gamer ansieht oder nicht. Wie ihr ja wisst: Ich selbst zähle mich logischerweise als Gamer und obendrein auch noch als großen Fan von Racing-Titeln aller Art. Der hier nicht nur namensgebende, sondern taktvorgebende Titel „Gran Turismo“ hat es bei mir aufgrund bisheriger Konsolenauswahlen nur zu maximal mäßiger Präsenz geschafft. Dennoch wurde der Racing-Gamer in mir durch den Film getriggert und ja es gibt da dieses „Ich will jetzt sofort dieses Spiel spielen“-Gefühl am Ende des Films. Aus Gamersicht ein großartiges Zeichen für den Film.
Gehört jetzt Gaming nicht zu den größten Hobbies, dann kann man sich dem Film aber dennoch erfreuen, denn er erzählt eben diese so großartige wie unglaubliche Geschichte des realen Jann Mardenborough – Fans von autobiografischen Filmen sollten hier also eindeutig hellhörig werden.
Nehmen wir aber nochmal kurz die Gamer-Brille zur Hand, dann müssen wir auch noch ein wenig darauf schauen wie dominant das Spiel angefasst wurde. Und da tut sich wunderbares. Denn die Verantwortlichen haben sich nicht blindlings auf das Spiel gestürzt. Vor allem technisch bedient man sich beim Spiel und auch bei den ein oder anderen Soundeffekten (Playstation- und GT-Fans sollten genau hinhören!). Aber ansonsten dient das Game tatsächlich mehr als Aufhänger für die damalige PR-Aktion von Nissan. Dennoch ist der Film eine Ode an den legendären Rennsimulations-Titel und noch mehr an seine Spielerschaft.
Technik und Besetzung: Commitment und ein bisschen “Stranger Things”
Regie: Neill Blomcamp
Cast:
Rolle | Schauspieler/-in | Synchronsprecher/-in |
Jann Mardenborough | Archie Madekwe | Patrick Roche |
Jack Salter | David Harbour | Peter Flechtner |
Danny Moore | Orlando Bloom | Matthias Deutelmoser |
Steve Mardenborough | Djimon Hounsou | Tommy Morgenstern |
Ich habe bereits in meiner Einschätzung das Wort „Commitment“ verwendet. Dieses sich für etwas verschreiben – und hier im Film sogar noch etwas mehr als es vielleicht gesund erscheinen mag. Für eine Adaption (egal in welcher Form und in welcher Detailstärke) braucht es auch genau dieses Commitment. Wenn ich jetzt im Film sehe, dass ein Kazunori Yamauchi nicht nur als ausführender Produzent, Berater und Zulieferer von Gamingdaten mit in diesem Film involviert ist, sondern gleich MEHRERE kleine Auftritte hat, dann ist das großartig. Yamauchi-san gilt als „Vater von Gran Turismo“. Sein ganz persönliches Commitment zu dieser Marke ist bemerkenswert und wer sich jemals ein Making-Off eines seiner Spieler angeschaut hat, oder Archivbilder seines Studios sieht, der versteht was ich meine. Yamauchi ist ein Künstler und gilt für mich (obwohl ich bisher wenig mit seinen Spielen in Berührung gekommen bin) als einer der größten Spieleentwickler seiner Generation.
Durch diese so engagierte Beteiligung von Yamauchi gelingt es den Verantwortlichen des Films auch die Essenz des Spiels auf den Film zu übertragen. Nicht aufdringlich oder gar in irgendeiner Art und Weise störend, sondern eher beiläufig. Mal ein HUD aus dem Game, mal ein kleiner Blick ins Gameplay. Mal eine Verschmelzung von Filmwelt und Spielwelt. Mal andersherum. Immer nur kleine Momente, die so das Spiel wunderbar in den Film integrieren, ohne dabei auch nur im Ansatz irgendwelche Abhängigkeiten voneinander zu erzeugen. Feines Technikgefühl!
Alles andere als feinfühlig ist die Musik in „Gran Turismo“, aber das soll an dieser Stelle keine Kritik sein – im Gegenteil. Passend zur Entwicklung einer typischen „From Zero to Hero“-Geschichte treibt auch die Musik die Emotionen voran oder besser gesagt in die Höhe. Deftige Musiken, kräftige Sounds und noch treibendere Beats begleiten uns immer wieder beinahe lauter als die Motoren auf der Rennstrecke. Sie passen herrlich ins Bild und können sich jederzeit auf die nahezu perfekte Platzierung durch Komponist Lorne Balfe (u.a. „Top Gun: Maverick“, „Dungeons & Dragons: Honor among thieves“, „Tetris“) verlassen.
Während für Jann im Film die Zahl 4 immer wieder eine wichtige Rolle spielen soll, ist es im filmischen Wirken von Regisseur Neill Blomcamp im Moment die Zahl 5 – denn mit „Gran Turismo“ feiert er seinen fünften Langfilm. Bisher war Blomcamp für die Inszenierungen von „District 9“, „Elysium“, „Chappie“ und „Demonic“ verantwortlich. Jetzt also das erste Mal ein autobiografisches Werk und sein Gespür für großartige Inszenierungen strahlt auch hier durch den Film – ich möchte an der Stelle nochmal diesen genialen Twist ansprechen. Blomcamps Filme sind immer auf den ersten Blick Filme, bei denen man meint schon beim Ticketkauf zu wissen, was man bekommt. Doch nach dem Film ist man immer auf eine ganz spezielle Art verzaubert oder begeistert.
Ein Blick auf die Darstellerliste will uns zunächst einmal suggerieren, dass wir es hier mit einem Ensemblecast zu tun haben – und ja es sind tatsächlich sehr viele Menschen (teilweise mit sehr bekannten Namen wie z. B. Orlando Bloom) involviert. Doch wirklich einen Einfluss auf die Handlung und auf deren Wirkung haben für mich tatsächlich nur zwei erzielen können. Das wäre zum einen der Chefingenieur, der für dieses Wahnsinnsprojekt von Nissan gewonnen werden konnte. Jack Salter ist selbst ehemaliger Rennfahrer mit mächtiger Geschichte und nimmt nun die eRacer unter seine Fittiche. Dargestellt von David Harbour (u.a. „Black Widow“, „Stranger Things“, „Brokeback Mountain”) wird ihm von eben diesem seine knorrige und zuweilen pessimistisch-mürrische Natur verlieren. Der „Harbour“-Effekt trifft hier voll ins Schwarze und verleiht nicht nur der Rolle dadurch eine großartige humorige Note. Doch auch in den emotionalen Abschnitten weiß Harbour jederzeit zu überzeugen und liefert gen Ende eine überraschend bewegende Geschichte eines ehemaligen Rennfahrers ab… Und ja so ein bisschen erinnert er mich an Doc Hudson aus Disney-Pixar´s „Cars“ 😉.
Und natürlich ist da noch Jann Mardenborough, der übrigens tatsächlich selbst im Film mitgespielt hat. Er war nicht nur beratend, sondern auch als Stunt-Double für seinen eigenen Charakter aktiv. Vordergründig wurde Mardenborough allerdings vom verhältnismäßig unbekannten Archie Madekwe (u.a. „Teen Spirit“, „Midsommar“, „Voyagers“) verkörpert. Ich hatte ja bereits in meiner Einschätzung angesprochen, dass es mir Madekwe nicht unbedingt leicht gemacht hat ihn bzw. seinen Charakter zu Beginn einzuschätzen. Ob diese extreme Verschlossenheit nur eine Art Hommage oder ein Vorurteil gegenüber der Gamer-Szene gewesen sein soll, oder tatsächlich so etwas wie erhöhte Nervosität bei Madekwe war, will und kann ich nicht abschließend analysieren. Definitiv weiß ich, dass ich mit seinem Charakter nicht klar gekommen wäre, wäre da nicht diese Wendung zum Ende hin gewesen. Denn die hat nicht nur unser Sehverhalten aus der Bahn geworfen, sondern auch Mardenboroughs Charakter ordentlich durcheinander gewürfelt.
Ja, nicht alles was im Film erzählt und gezeigt wurde ist immer stimmig bei ihm (z.B. die Installation einer „Freundin“ fühlt sie wie ein weiterer Haken auf einer unwichtigen To-Do-Liste an). Aber er weiß am Ende seine Emotionalität zu kanalisieren und liefert genau diese Passion, mit der Videospielende Tag für Tag auf die Jagd nach dem nächsten Erfolg gehen.
Fazit: Gamingfilm ohne direkten Game-Bezug – funktioniert das?
Wir reden mal wieder über einen Gaming-Film, aber dieses Mal ist es weder die Verfilmung eines bestimmten Games, sondern vielmehr die Verfilmung eines Lebens. Denn was Jann Mardenborough erlebt hat, ist so fantastisch, dass man sich während des Films immer wieder einreden muss, dass das jetzt keine Fiktion ist. Der völlig kranke Plan von Nissan aus Gamern Rennfahrer zu machen gehörte auf die Leinwand. Doch man hat eben nicht nur diesen wirklich gut inszenierten und dramaturgisch äußerst interessanten Biografiefilm geschaffen, sondern hat es in einer beeindruckenden Art und Weise geschafft das Game zu integrieren.
Der Film folgt einer klassischen „From Zero to Hero“-Handlung und liefert auch die daraus bekannten moralischen und emotionalen Botschaften. Doch als Gamer hat man nach dem Film das dringende Bedürfnis den Titel einzulegen. Hat man es mit Gaming nicht so, dann kann man sich immer noch an dieser großartigen Erzählung eines Lebens erfreuen, das sich auf dem Papier selbst liest, als wäre es ein Videospiel.
Infosammlung:
Originaltitel | Gran Turismo – Based on a true Story |
Deutscher Titel | Gran Turismo |
Studio / Publisher | Columbia Pictures PlayStation Productions 2.0 Entertainment Sony Pictures Releasing |
Deutscher Kinostart | 25. August 2023 |
Filmlänge | 135 Minuten |
FSK-Einstufung | 12 Jahre |
Trailer zum “Gran Turismo”-Film:
Keep on Gaming – oder besser: watching!