Die Geschichte von Natascha Kampusch hat im August 2006 die Welt erschüttert. Ein Mensch wird 8 Jahre lang gefangen gehalten wie ein Tier – und selbst die Nachbarn des Entführers erahnten nicht, was sich in seinem Keller zutrug. Nach ihrer Flucht verfasste Natascha Kampusch eine Autobiografie über ihre Gefangenschaft. Und gestern lief der gleichnamige Film „3096 Tage“ in den deutschen Kinos an. Wir haben uns für euch die Verfilmung dieser schrecklichen Geschichte angesehen und wollen euch einen Überblick geben.

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Film-Rezension von Mario

Harter Stoff

Kinofilme haben in der Regel den Vorteil, dass die Geschichten fiktiv sind. Egal wie schrecklich und grausam die Bilder auf der Leinwand sind, wir können uns immer in unser Wissen retten, dass diese Geschichten den Köpfen von Autoren entsprungen sind. Bei 3096 Tage ist das leider nicht der Fall.

3096 Tage Teaser PlakatIn einer Rezension beschäftigt man sich in erster Linie mit dem Produkt – also dem Film – selbst. Ich habe viel mit mir gerungen, wie ich diese krasse Thematik angehe. Doch letztendlich fiel der Entschluss, vorab die Geschichte von Natascha Kampusch nochmals zu umreißen. Erst danach möchte ich über den Film schreiben.

Die Geschichte um die Entführung von Natascha Kampusch ist sicherlich noch in vielen Köpfen präsent. Am 23. August 2006 ging durch alle Medien auf der Welt die unglaubliche Nachricht: „Natascha Kampusch, vor über 8 Jahren spurlos verschwunden, taucht plötzlich auf. Sie konnte nach dieser unglaublich langen Gefangenschaft fliehen.“ Die Geschichte um das 10 jährige Mädchen, welches am 02.März 1998 entführt wurde, erschütterte alle. Etliche Fragen wurden aufgeworfen: Wieso hat die Polizei den Täter nicht ausfindig machen können? Wie war es möglich, jemanden 8 Jahre lang einzusperren, ohne dass irgendjemand davon Kenntnis nimmt? Und natürlich noch viel mehr.

Der Entführer, Wolfgang Priklopil, lauerte dem damals 10 jährigen Mädchen in einem weißen Lieferwagen auf. Natascha Kampusch befand sich gerade auf dem Weg zur Schule, sie besuchte die vierte Klasse einer Volksschule. Von diesem Tag an hat man von Natascha nichts mehr gehört. Die Polizei ermittelte nach dem Täter – allerdings vergeblich. Wolfgang Priklopil hat in seinem Keller eine kleine Kammer eingerichtet. Wasserleitungen und Lüftungen waren vorhanden. Die Entführung war sehr genau geplant. Dort lebte Natascha die nächsten acht Jahre. Auf wenigen Quadratmeter eingesperrt, völlig ihrem Entführer ausgesetzt.

Welche Qualen Natascha in dieser langen Zeit erleiden musste, ist nicht auszudenken. Von Misshandlungen über Vergewaltigungen bis hin zu gemeinsamen Mahlzeiten erlebte sie dort alle möglichen und auch unmöglichen Dinge. Auch nur ansatzweiße das Leid von Natasche in Worte zu fassen ist eine schier unmögliche Aufgabe. Es bleibt uns unverständlich, wie eine Kindheit und Jugend in einem Keller eingesperrt aussehen könnte und wie sich der Mensch hierbei fühlt.

3096 Tage (1)In ihrer eigenen Autobiografie erzählt Natascha Kampusch über diese Zeit. Doch selbst aus ihren eigenen Erinnerungen lassen sich viele Aspekte der Gefangenschaft wohl nicht rekonstruieren und vermitteln. Die Vorstellung ist letztendlich zu weit von unseren Erfahrungen entfernt.

Anfangs habe ich mir die Frage gestellt, ob eine solche Tat und eine so krasse Geschichte wirklich verfilmt werden kann – und sollte. Die Frage nach der moralischen Berechtigung hat sich für mich persönlich insofern geklärt, da Natascha Kampusch ihre Geschichte selbst veröffentlicht hat und auch bei den Dreharbeiten des Filmes mitgewirkt hat. Sie hatte großen Einfluss auf die Entstehung und das Drehbuch bezog sich auf ihre eigene Autobiografie.  Ob die Geschichte allerdings überhaupt verfilmbar ist, möchte ich in Folgendem etwas genauer betrachten.

 

Enge Stille

Der Film spielt sich – nach einer kurzen Einführung über die Familie von Natascha Kampusch, von welcher sie sich im realen Leben nach ihrer Befreiung ebenfalls abgewandt hat – in erster Linie im Haus von ihrem Entführer, Wolfgang Prikoli, und Nataschas 2 auf 3 Meter Gefängnis ab.

3096 Tage (4)Sich in die Situation des jungen Mädchens hineinzuversetzen ist unmöglich. Eingesperrt in diesem winzigen Raum, völlig abgeschlossen von der Welt. Diese Bilder einzufangen war sicherlich eine Herausforderung für das Team um 3096 Tage. Die Szenen werden hinausgezögert, zum Teil so lange, dass es dem Zuschauer unangenehm wird. Die Geräusche, die Natascha wahr nimmt, werden plötzlich lauter und scheinen nicht mehr zu enden. Das Rücken von Möbeln und das Geräusch der Türe, die Nataschas verlies von der Außenwelt trennt, geben einen Hauch von Ahnung, wie das Kind und die junge Frau über all die Jahre gelitten haben. Dieses Hinauszögern, das Spiel mit der Lautstärke der Geräusche, das macht es dem Zuschauer unangenehm hinzusehen und gibt ein enorm bedrängendes Gefühl. Zeitweise möchte man aufstehen, den Kinosaal verlassen und es nicht weiter mit ertragen müssen. Doch man bleibt sitzen und verfolgt gespannt weiter die Geschichte von Natascha Kampusch.

Dass ein Film derartig heftige Emotionen auslöst, ist selten. Am eindringlichsten sind diejenigen Momente, in denen Natasche alleine in ihrer Zelle sitzt und auf den Entführer wartet. Dieser verkörpert für den Zuschauer selbstredend alles Böse und Schlechte. Doch es wird klar, dass er für Natascha nicht nur der schreckliche Entführer ist: Er ist derjenige, der sie mit Essen versorgt. Der für sie vorliest. Der ihr ihre Lieblingskekse gibt und ihr einen Gutenachtkuss gibt. Er nimmt ihr die Freiheit, sperrt sie ein wie ein Tier und misshandelt sie – doch zugleich ist er die einzige Person in ihrem Leben, die sich um sie kümmert und zu der sie eine Beziehung hat. Dieser doch zwiespältige Blick auf den für jeden vollkommen klar als „böser“ abgestempelte Gegenspieler von Natascha macht das Zusehen noch unangenehmer. Ein Beispiel: Wir freuen uns, Natascha an Weihnachten lächeln zu sehen. Doch sie freut sich über das Geschenk von Wolfgang Priklopil. Und der Zuschauer verabscheut diesen Mann zutiefst. Selbst als Betrachter müssen wir entscheiden, welche Gefühle wir zulassen – und wie weit wir sie zulassen. Selten reißt ein Film den Zuseher so sehr in emotionale Extrema wie 3096 Tage.

 

Vollkommen authentisch

3096 Tage (3)Einen sehr wichtigen Beitrag leisten selbstverständlich auch die Schauspieler. Nataschas Rolle wird von zwei Schauspielerinnen übernommen: Zum einen von Amelia Pidgeon, die Natascha als 10 jähriges Mädchen verkörpert, zum anderen Antonia Campbell-Hughes, die als Natascha ab 14 Jahren auftritt. Beide spielen ihre Rollen sehr überzeugend. Besonders bewegend war allerdings Campbell-Hughes: Die abgemagerte Frau symbolisiert ihr eigenes Elend nicht nur in Mimik, Worten und Tränen, sondern alleine ihre Statur macht ihren Zustand deutlich. Dennoch bleibt sie stark und bricht nicht unter Wolfgang Priklopil. Im Gegenteil, sie wird sogar stärker und übt Druck auf den in fast allen Punkten überlegenen Entführer aus.

Auch Thure Lindhardt, der den Entführer spielt, wirkt sehr überzeugend. Laut Natascha Kampusch hat er zwar wenige optische Gemeinsamkeiten mit dem realen Wolfgang Priklopil, doch seine Art und sein Charakter seien unheimlich gut getroffen. Einen so verhassten und schlechten Menschen zu spielen ist sicherlich nicht einfach. Zu fiktiven Bösewichten kann immer eine Sympathie hergestellt werden und eine Faszination entstehen. Denken wir hierbei nur an den „Joker“ aus Batman oder „Darth Vader“ aus Star Wars. Mit Wolfgang Priklopil verbindet uns allerdings nichts. Auch wenn ab und an freundliche Verhaltensweisen an den Tag gebracht werden, können keine positiven Züge gefunden werden. Seine Tag und sein Verhalten machen ihn zum Feindbild des Zuschauers. Und diese Rolle spielt Thure Lindhardt überzeugend – er gibt dem Entführer ein Gesicht und erweckt ihn neu zum Leben.

 

Fazit:                    sehr gut

Ich habe bereits mehrfach angesprochen, dass auch ein Film nur ansatzweise einen Einblick in das geben kann, was Natascha Kampusch wirklich erleben musste. Dennoch: Ich habe kaum einen schrecklicheren Film gesehen – vor allem mit dem Wissen, dass es sich um wahre Begebenheiten handelt. Die Macher haben ganz bewusst auf Effekthascherei verzichtet und eine authentische Verfilmung des erschreckenden Stoffes geschaffen. Der Kinoaufenthalte wird auf alle Fälle zu einem bedrückenden Erlebnis und Emotionen werden sich nicht vermeiden lassen. Definitiv nichts für einen „netten Kinoabend“ – aber auf alle Fälle sehr sehenswert!

 

Info
Genre: Drama
Produktion: 2013
Kinostart: 28.02.2013
Verleih: ConstantinFilm
FSK: 16
Laufzeit: 109 Minuten
Drehbuch:

Ruth Toma

Bernd Eichinger

Regie: Sherry Hormann
Produzent: Martin Moszkowicz
Kamera: Michael Ballhaus
Musik: Martin Todsharow
Schauspieler

Antonia Campbell-Hughes

Thure Lindhardt

Amelia Pidgeon

Trine Dyrholm

 

 

KINOPOLIS LANDSHUT klein

Dank gilt auch in diesem Fall wieder dem Kinopolis Landshut, das uns den Besuch des Filmes ermöglicht hat.