Zur Premiere durften wir das Stadttheater Landshut besuchen. Auf dem Plan stand "Liebelei", eines der frühen Werke von Arthur Schnitzler. Natürlich lies ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen und habe mir die tragische Geschichte um junge Liebende aus unterschiedlichen Ständen angesehen. Und nun möchte ich euch zeigen, wieso sich der Besuch ins Stadttheater lohnt.

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Theater- Rezension von Mario Zollitsch

 

Arthur Schnitzler

Arthur Schnitlzer ist wohl der wichtigste Vertreter der Wiener Moderne. Als erster Sohn von insgesamt vier Kindern des jüdischen Laryngologen Johann Schnitzler wurde er am 15.Mai 1862 in Wien geboren. Er studierte Medizin und wurde am 20.Mai 1885 zum Dr. med. promoviert. Bis 1993 arbeitete er als Arzt in der Klinik seines Vaters, doch schon in dieser Zeit betätigte er sich als Schriftsteller.

Sein erstes veröffentlichtes Werk war „Liebeslied der Ballerine“ 1980 und erschien in der Zeitschrift „Der freie Landbote“. Es folgten weitere Gedichte und Erzählungen. Seit 1890 zählte Schnitzler mit Hugo von Hofmannsthal und Richard Beer-Hofmann zu den Hauptvertretern des Jungen Wien, der literarischen Wiener Moderne.

Schnitzler zählte am Anfang des 20. Jahrhunderts zu den meistaufgeführten Dramatikern auf den deutschen Bühnen. Mit den Veröffentlichungen von „Leutnant Gustl“ und „Der Reigen“ geriet er in die öffentliche Kritik. Bei ersterem griff er den Ehrenkodex des österreichischen Militärs an und verlor dadurch seinen Offiziersrang als Oberarzt der Reserve, bei zweitem wurde ihm ein Prozess wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses gemacht.

Das Hauptaugenmerk in Schnitzlers Dramen und Erzählungen lag auf den psychischen Vorgängen seiner Figur. Diese waren meist im Wien der Jahrhundertwende angesiedelt und spiegelten ein typisches Bild der damaligen Gesellschaft wieder.

Die psychologische Sicht auf die Personen führte dazu, dass Schnitzler in seiner Novelle „Leutnant Gustl“ den inneren Monolog in die deutschsprachige Literatur einführte. Dies lies den Zuschauer tiefer in die Figuren eintauchen und machte Beweggründe und Motivationen zu den seiner Zeit als Tabu geltenden Themen wie Sexualität, Tod, Ehebruch und Antisemitismus deutlich.

Besonders bekannt ist neben dem Werk „Fräulein Else“ auch „Die Traumnovelle“, welche in dem Film „Eyes Wide Shut“  in das moderne New York transferiert wurde. Zu seinen frühen Theaterstücken zählt auch „Liebelei“, welches bereits 1894 entstand.

 

Liebelei

Das Schauspiel Liebelei wurde am 9. Oktober 1895 im Burgtheater in Wien aufgeführt und wurde von Schnitzler selbst als „rührende Tragikomödie“ in drei Akten bezeichnet.

lie172Im Mittelpunkt des Schauspiels stehen zwei junge Männer, Theodor und Fritz, und zwei junge Damen, Mizi und Christine. Theodor möchte seinen Freund mit dem „süßen Mädel“ Christine von seiner Affäre mit einer verheirateten Frau ablenken und die beiden Männer laden die Damen zum Abendessen ein. Unerwartet taucht hier der Mann der Liebhaberin von Fritz auf und fordert diesen zu einem Duell heraus – was die beiden jungen Damen nicht mitbekommen, da sie ins Hinterzimmer geschickt werden.

Fritz und Christine verstehen sich insgesamt sehr gut und treffen sich oft. Christine möchte so viel wie möglich über Fritz´s Leben erfahren, doch dies schreckt den freiheitsliebenden Jüngling ab. Er gibt vor, mit seinem Freund Theodor auf ein Familiengut auf dem Land zu fahren. In Wahrheit findet dort das Duell mit dem Mann seiner Liebhaberin statt.

Durch Theodor, Mizi und ihren eigenen Vater erfährt Christine schließlich, dass Fritz bei diesem Duell ums Leben gekommen ist. Das junge Mädchen stürzt in ein tiefes Loch und verkraftet diesen Verlust nicht – vor allem, weil ihre große Liebe für eine andere Frau gestorben ist. Sie flieht überstürzt aus ihrer Wohnung und lässt die anderen zurück. An diesem Punkt endet das Schauspiel und es bleibt offen, ob sie Selbstmord begeht oder den Verlust letztendlich verkraftet.

 

Die Aufführung

Die Schwierigkeit, Schnitzler´s Liebelei zu inszenieren, liegt vor allem daran, dass Emotionen das Wichtigste bei der Darstellung der Figuren sind. Der Ausdruck der starken Gefühle und der inneren Monologe machen das Stück so schwierig aufzuführen. Vor allem der schauspielerischen Leistung wird hier viel abverlangt. Daher wollen wir uns ansehen, wie Heinz Oliver Karbus dies als Regisseur im Stadttheater Landshut umgesetzt hat.

lie137Auffällig ist zu Beginn das Bühnenbild. Ein modern-elegant eingerichtetes Wohnzimmer mit Ledercouch und vielen Blumen – von der Decke herabhängend – vermittelt auf Anhieb den Flair einer gehobenen Schicht. Nur mit einem Handtuch bekleidet liest Fritz, gespielt von Tobias Ulrich, die Zeitung. Der anschließend auftretende Theodor – gespielt von David Tobias Schneiden – macht in seinem Anzug nochmals ganz deutlich: Wir haben es hier mit der begüterten Gesellschaftsschicht zu tun. Auch befinden wir uns nicht im Wien um 1900, sondern in der heutigen Zeit. Der Liebeskummer von Fritz kommt bereits im ersten Dialog zwischen den beiden jungen Männern stark zur Geltung. Doch auch eine Hauch von Homoerotik umgibt die jungen Männer. Sowohl in der Fürsorge von Theodor um seinen besten Freund Fritz, als auch beim Gerangel aus Spaß während des Damenbesuches.

Mit dem Auftritt der jungen Frauen – Josepha Sophia Sem als Mizi Schlager und Ines Schmiedt als Christine Weiring – wird das Geschehen schnell abstrus. Zum einen kommt eine nahezu aufgesetzte Lebensfreude auf, die alle vier Charaktere befällt, zum anderen wird aber auch deutlich, wie stark Christine´s Gefühle gegenüber Fritz sind und wie unangenehm ihm dies im derzeitigen Augenblick ist. Es fällt Fritz sichtlich schwerer, sich auf Christine einzulassen, als seinem Freund Theodor mit Mizi. Während Fritz das junge Mädchen auf seinem Schoß sitzen hat und die beiden sich innig küssen, schlafen Theodor und Mizi auf der Couch miteinander. Der Unterschied der beiden Beziehungen kommt deutlich heraus: Sowohl Mizi als auch Theodor erwarten von ihren Treffen nichts weiter als Unterhaltung und fleischlichen Spaß. Christine dagegen möchte mehr als nur das – was dem bereits einer anderen Frau verfallenen Fritz selbstverständlich nicht entgegen kommt.

Getrübt wird die ausgelassene Stimmung durch den plötzlichen Besuch eines Herren – Joachim Vollrath. Dessen Auftritt verwandelt Fritz sofort in einen ernsten und vor allem auch ängstlichen Mann.

lie192Der zweite und dritte Akt spielt in Christines Zimmer. Dieses ist schlicht eingerichtet, Blumentapeten zieren ihre Wände und Plastikblumen stehen auf dem Tisch. Ein enormer Kontrast zu Fritzs Wohnung ist nicht zu übersehen. Vor allem optisch wird der Schichtunterschied der beiden deutlich. Am eindringlichsten geschieht dies natürlich durch die Wohnsituation der beiden, doch auch die Kleidung unterstreicht diesen Aspekt nochmals. Dennoch scheint auch Fritz immer mehr Gefühle für Christine zu empfinden. Bei seinen Auftritten in Christines Zimmer wird dem Zuschauer immer deutlicher suggeriert, dass es sich hierbei um mehr als nur Ablenkung oder eine Liebelei von Fritzs Seite aus handelt. Dass Christine Fritz liebt, wird spätestens im zweiten Akt unübersehbar: Beim Ausbleiben von Fritz bei ihrer Verabredung fällt Christine bereits in ein tiefes, emotionales Loch, aus welchem auch Mizi sie nicht befreien kann. Umso glücklicher ist sie, als Fritz sie überraschend besuchen kommt. Es ist unglaublich, wie präzise die Schauspieler – vor allem Ines Schmiedt und Tobias Ulrich – die Gefühle auf die Bühne bringen. Und vor allem wie schnell Trauer, Verletzlichkeit und Ängste in übermäßige Freude und Glück umschlagen können. Ein Zweifel an der Authentizität dieser Emotionen kommt zu keinem Zeitpunkt auf.

 

Einzig und allein in einem kleinen Punkt kommt es zu einer logischen Unstimmigkeit. Obwohl die Geschichte in die heutige Zeit adaptiert wurde, stirbt Fritz bei einem Duell. Welche in dieser Weise schon längst nicht mehr existieren. Karbus erklärt dies allerdings folgendermaßen: Das Duell stünde für etwas gänzlich anderes. Ob nun zwei Männer mit Waffen aufeinander zielen oder Fritz in einer andersartigen Auseinandersetzung verstirbt spielt eigentlich keine Rolle. Und damit hat der Regisseur natürlich recht.

Die Thematik des Stücks ist unglaublich nachvollziehbar. Beim Zusehen lässt es sich kaum vermeiden, Parallelen zu dem eigenen Leben oder zu dem von Bekannten zu ziehen. Angst vor Enttäuschungen, Unfähigkeit sich zu binden, Diskrepanz der Gefühle von zwei Menschen zueinander, nicht erwiderte Liebe und verlassen werden – all das sind zeitlose Themen, mit denen wir uns auch jetzt noch auseinandersetzen müssen. Daher ist die Adaption in die Moderne nicht nur nachvollziehbar, sondern beinahe aufdringend.

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Fazit      sehr gut

Die Liebelei ist ein mitreißendes, wenn auch deprimierendes Stück. Die Aktualität der Thematik verdanken wir natürlich Schnitzler selbst, der ein zeitloses Werk geschaffen hat. Doch Regisseur und Schauspieler im Stadttheater Landshut bringen uns das Stück in die heutige Zeit. Besonders hervorzuheben ist das schauspielerische Talent und die Überzeugungskraft, die auf der Bühne herrscht. Das gesamte Stück lebt und stirbt mit der Authentizität der Schauspieler – und ich habe keinen einzigen Augenblick an dieser gezweifelt. Auf alle Fälle einen Besuch im Stadttheater wert!

 

Info
Stück Liebelei
Autor: Arthur Schnitzler
Uraufführung: 09.10.1895, Wien
Regie: Heinz Oliver Karbus
Bühne Christiane Becker
Kostüme Dorothee von Rosenberg Lipinsky
Musik Peter Wesen Auer
Dramaturgie Peter Johannes Oberdorf
Premiere:

Landshut: 25.01.2013

Passau: 16.02.2013

Straubing: 05.02.2013

Besetzung:

Klemens Neuwirth (Hans Weiring)

Ines Schmiedt (Christine Weiring))

Josepha Sophia Sem (Mizi Schlager)

Paula-Maria Kirschner (Katharina Binder)

Tobias Ulrich (Fritz Lobheimer)

David Tobias Schneider (Theodor Kaiser)

Joachim Vollrath (Ein Herr)

 

landestheater niederbayern logoDank gilt an dieser Stelle den Landestheatern Niederbayern, insbesondere dem Stadttheater Landshut, die uns den Besuch und demzufolge auch diese Kritik ermöglicht haben.

 

 

 

 

 

Fotos: Peter Litvai